Hanns Eisler


Deutsches Historisches Museum Berlin LeMO-F-4-259
Deutsches Historisches Museum Berlin LeMO-F-4-259

Hanns Eisler, laut Taufregister in Leipzig: Johannes Eisler

* 6. Juli 1898 in Leipzig

† 6. September 1962 in Berlin

 

Österreichischer Komponist



Hanns Eisler

1898–1962

 

Sturm-Suite

für Orchester

aus der Bühnenmusik zu

Wladimir Bill-Bjelozerkowskis

Schauspiel »Sturm« [1924]

UA Berlin, Deutsches Theater 1957

 

1    Sturm – Allegro

2    Pantomime – Allegretto spirito

      Melodram – subito larghetto

3    bequem

4    Poco larghetto

5    [ohne Bezeichnung]

6    Allegro agitato

7    Lento, Poco marcia

8    Destinato

 


29./30.04.2012 Programm Nr. 22

       10.06.2012  Benefizkonzert für ein Hirschfeld-Denkmal


Wladimir Bill-Bjelozerkowski
Wladimir Bill-Bjelozerkowski

Eine Suite, abgeleitet aus der Bühnenmusik zu einem sowjetischen Revolutionsdrama, Seite an Seite mit Mendelssohns Walpurgisnacht? Zur Erläuterung dieser Programmentscheidung wäre zunächst auf die Nähe der Walpurgisnacht zum Mai-Feiertag hinzuweisen, der als »Kampftag der Arbeiterklasse« an den »Haymarket riot« in Chicago 1886 erinnert, eine blutige Konfrontation zwischen der Polizei und Arbeitern, die für den Achtstundentag streikten. Andererseits ist das Assoziationsfeld der Walpurgisnacht in Hanns Eislers Musik zum Schauspiel »Sturm« von Wladimir Bill-Bjelozerkowski (1885–1970) untergründig aufgehoben, denn in dieser Arbeit recycelte der Komponist unter anderem Teile seiner Filmmusik für die französisch-ostdeutsche Koproduktion Les Sorcières de Salem (Die Hexen von Salem) von 1957 (Drehbuch: Jean-Paul Sartre; Regie: Raymond Rouleau; mit Yves Montand und Simone Signoret), einer Adaption von Arthur Millers Stück The Crucible (Hexenjagd). Eisler, Kommunist ohne Parteibuch, kannte das Phänomen der Hexenjagd aus eigener Erfahrung: Als Exilant in den USA geriet er 1947 in die Fänge des berüchtigten Kongressausschusses zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit und wurde 1948 ausgewiesen. Nach dem vergeblichen Versuch, in Wien, seiner eigentlichen Heimatstadt, wieder Fuß zu fassen, ließ er sich 1949 in Ost-Berlin nieder. 

 

Neben den Übernahmen aus den Hexen von Salem (Satz 2 und 5) lassen sich in der Sturm-Suite Entlehnungen aus Kompositionen zu mindestens zwei weiteren Filmen identifizieren, nämlich Alain Resnais’ berühmter Holocaust-Dokumentation Nuit et brouillard (Nacht und Nebel) von 1955 (Satz 1) und der im selben Jahr in der Regie von Louis Daquin realisierten österreichischen Maupassant-Verfilmung Bel ami (Satz 3 und 4). Angesichts dieser großzügigen Rückgriffe auf Material aus älteren Werken Eislers mag sich ein genaueres Eingehen auf die Funktion der Musik im Bühnenkontext erübrigen. 

 

Mit der Sturm-Musik erfüllte Eisler im Herbst 1957 einen Auftrag des Deutschen Theaters in Berlin, wo Wolfgang Langhoff anlässlich des 40. Jahrestages der Oktoberrevolution das 1925 in Moskau uraufgeführte Drama des proletarischen Autors und bolschewistischen Aktivisten Bill-Bjelozerkowski inszenierte. Die Premiere fand am 3. Dezember 1957 statt; die Hauptrolle, den »Sekretär des Kreisparteikomitees«, spielte Ernst Busch. »Wir berichten die Geschichte der revolutionären Kämpfe in der kleinen Stadt Batyrsk im Jahre 1919. Den Kampf um Brot und Brennholz. Den Kampf gegen Typhus und gegen die Dummheit. Den Kampf gegen die innere und äußere Konterrevolution« – so fasst das Programmheft in pseudo-brechtischer Diktion den Inhalt des Stücks zusammen. In Theater der Zeit notierte Hagen Müller-Stahl vieldeutig: »Der Autor schreibt naiv in künstlerischer Hinsicht. Naivität ist seine künstlerische Stärke. Eine Dramaturgie ist nicht von vornherein vorhanden. Sie entsteht beim Schreiben, sie richtet sich nach dem Stoff.« 

 

Die Bühnenmusik umfasste neben den in die Suite aufgenommenen Instrumentalsätzen auch einige vokale Nummern, darunter die Majakowski-Vertonung Linker Marsch. Die Einrichtung der Suite steht möglicherweise im Zusammenhang mit der Verwendung als Musik zu dem 1960 am Hans-Otto-Theater in Potsdam produzierten Ballett Jugend der Welt. Den überlieferten Beschreibungen nach zu urteilen handelte es sich dabei um ein parteifrommes Erbauungswerk über die Begegnung von neun jungen Menschen verschiedener Hautfarbe und Nationalität bei den Weltfestspielen der Jugend. | Tobias Faßhauer

 

Quellen: Peter Deeg, e-mails an den Verfasser – Manfred Grabs, Hanns Eisler, Kompositionen, Schriften, Literatur. Ein Handbuch, Leipzig 1984 –

Archiv der Akademie der Künste, Berlin.