John Philip Sousa
* 6. November 1854 in Washington, D.C.
† 6. März 1932 in Reading, Pennsylvania
Elmer Chickering (1857–1915)
John Philip Sousa. 1900
Photographie
anlässlich des
American Independence Day
July 4, 1776:
John Philip Sousa
1854–1932
»The Stars and Stripes Forever«
Marsch [1896]
4. 7. 2009 ► Programm Nr. 16
The Stars and Stripes Forever
Text und Musik: John Philip Sousa
Let martial note in triumph float,
And liberty extend its mighty hand,
A flag appears, ’mid thunderous cheers,
The banner of the Western land.
The emblem of the brave and true,
Its folds protect no tyrant crew,
The red and white and starry blue,
Is Freedom’s shield and hope.
Other nations may deem their flags the best
And cheer them with fervid elation,
But the flag of the North and South and West
Is the flag of flags, the flag of Freedom’s nation.
chorus
Hurrah for the flag of the free!
May it wave as our standard forever,
The gem of the land and the sea,
The banner of the right.
Let despots remember the day
When our fathers with mighty endeavor,
Proclaimed as they marched to the fray,
That by their might, and by their right,
It waves forever!
[…]
„Wir halten diese Wahrheiten für unmittelbar einleuchtend: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, so mit Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück.“
Aus der Unabhängigkeitserklärung der USA vom 4. Juli 1776
Als nationale Repräsentationsmusik sind viele Märsche in besonderem Maß auch Ausdruck der ideologischen Vorstellungen, die ihren Entstehungskontext prägen. Die beiden weltweit wohl bekanntesten Exemplare der Gattung, der Radetzky-Marsch von Johann Strauß Vater (1848) und The Stars and Stripes Forever des amerikanischen March King John Philip Sousa (1896), bilden in dieser Hinsicht einen bemerkenswerten Antagonismus: Strauss’ Komposition, eine Huldigung an den k. u. k. Feldmarschall Graf Radetzky, dessen besondere Verdienste in der Niederschlagung der Erhebung gegen die österreichische Fremdherrschaft in Oberitalien bestanden, spiegelt in ihrer insistierend-repetitiven Motivik und nahezu variationslosen Reprisenform den Beharrungswillen und das abgezirkelte Weltbild einer starren ständischen Ordnung. Sousas Stars and Stripes dagegen künden in ihrer zirzensischen Überdrehtheit und finaldramaturgischen Anlage vom Sendungsbewusstsein und ungebrochenen Fortschrittsglauben eines wenigstens nach eigenem Verständnis freien, demokratischen und ungehemmt dynamischen Gemeinwesens.
Sousas Angaben zufolge waren ihm die Themen der Stars and Stripes an Bord des Ozeandampfers Teutonic eingefallen, der ihn im November 1896 von einer Europareise nach Hause brachte; die Niederschrift erfolgte jedoch erst auf amerikanischem Boden. Die offizielle Uraufführung durch die Sousa Band fand am 14. Mai 1897 in der Academy of Music in Philadelphia statt und wurde vom Publikum enthusiastisch gefeiert. Gleiches ereignete sich kurz darauf bei der Erstaufführung in Washington, wo, wie ein Reporter registrierte, der tosende Applaus den Komponisten und Dirigenten „bis zu den Wurzeln seiner rapide schwindenden Haare erröten“ ließ.
Indessen war die Begeisterung nicht ungeteilt. So meldete der Berichterstatter des Musical Courier, der Marsch sei „originell und von hübsch martialischem Geist, wenn auch vielleicht ein wenig zu flamboyant und kriegerisch für Ihren friedliebenden Korrespondenten.“ Kritischer noch urteilte der New Yorker Mirror: „Er ist tumultuös und stürmisch, aber er repräsentiert nicht die tieferen patriotischen Gefühle, die man in ‚My Country, ’tis of Thee‘ findet [gemeint ist das Lied America auf die Melodie von God Save the King]. Es gibt darin keine Spur von Feierlichkeit und Ehrfurcht.“
Solche feinsinnigen Einwände konnten freilich der Popularität des Werkes nichts anhaben. Diese erhielt noch einen zusätzlichen Schub durch die Patriotismus-Welle, die dem Eingreifen der Vereinigten Staaten in den kubanischen Unabhängigkeitskrieg auf Seiten der Rebellen im April 1898 voranging (die Kubaner kämpften seit 1895 unter großer Anteilnahme der US-amerikanischen Öffentlichkeit gegen die spanische Herrschaft). Umgekehrt wurde die kriegerische Stimmung in den USA nicht unmaßgeblich durch Sousas elektrisierende Musik befeuert – im Verein mit dem New York Journal des späteren Pressezaren William Randolph Hearst und anderen Zeitungen, die ihre Leserschaft mit Berichten über echte und erfundene Untaten der spanischen Kolonialtruppen auf Kuba versorgten. In der aufgeheizten Atmosphäre des Jahres 1898 schrieb Sousa ein propagandistisches pageant (eine festspielartige Show) mit dem Titel The Trooping of the Colors, in das er eine von ihm selbst getextete Song-Version der Stars and Stripes einbaute (Text unten).
Wenn man dem Komponisten Glauben schenken darf, hat die im Liedtext formulierte Idee der Nation als einer Trias von „North and South and West“ auch in der musikalischen Faktur selbst ihren Niederschlag gefunden. Demnach steht das berühmte balladeske Hauptthema des Marsch-Trios für den Norden des Landes, während zwei weitere Themen, die nacheinander als Kontrapunkte hinzutreten, nämlich ein leichtfüßiges Piccolo-Solo und eine pompöse Posaunenmelodie, jeweils den Süden und Westen verkörpern. Tatsächlich enthält das Piccolo-Thema eine Anspielung auf die inoffizielle Südstaaten-Hymne Dixie:
Aus dem ‚geographischen‘ Programm der Stars and Stripes lässt sich die Sehnsucht nach nationaler Reintegration, nach einer Aussöhnung zwischen Nord- und Südstaaten herauslesen, an der auch gut 30 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs noch zu arbeiten war. Die Nord-Süd-West-Rhetorik legt nahe, die nach 1865 forcierte Expansion nach Westen gewissermaßen als Aufhebung des Nord-Süd-Gegensatzes zu betrachten. Dass in der territorialen Ausbreitung eine „offenkundige Bestimmung“ (Manifest Destiny) der USA bestehe, war bereits seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Leitgedanke im politischen Diskurs des Landes, der in den 1890er Jahren zunehmend auch auf Gebiete jenseits der kontinentalen Begrenzungen der Union bezogen wurde. Der Sieg über Spanien 1898 ermöglichte die Umsetzung überseeischer Ambitionen in reale Politik: Die USA unter Präsident William McKinley annektierten Guam, Puerto Rico sowie die Philippinen, wo sie sich alsbald in einen äußerst brutal geführten Kolonialkrieg gegen die einheimische Unabhängigkeitsbewegung verstrickten.
Viele Amerikaner betrachteten den damit vollzogenen Eintritt ihrer Republik in den Kreis der imperialistischen Mächte mit Abscheu und Sorge, da sie darin einen Verrat an den Gründungs-idealen der Nation und deren isolationistischer Tradition erblickten. Letztlich jedoch blieb der aus der missionarischen Idee des Manifest Destiny gespeiste imperialistische Impuls bis in die Gegenwart ein wesentlicher Faktor der US-Außenpolitik, und Sousas Zeilen The emblem of the brave and true, its folds protect no tyrant crew sind seit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg vielfach widerlegt worden. Unter der Regierung Ronald Reagans, eines Präsidenten, der für Tyrannen und Despoten (jedenfalls die antikommunistischen) ein großes Herz hatte, wurde The Stars and Stripes Forever 1987 per Kongressbeschluss zum National March der USA erklärt. Der Komponist hätte an diesem Verwaltungsakt vermutlich wenig Freude gehabt, denn schon die 1915 von einer kalifornischen Musiklehrervereinigung initiierte, jedoch erfolglos gebliebene Petition an den Kongress, die Stars and Stripes in den Rang einer offiziellen Melodie der USA zu erheben, hatte er mit Skepsis quittiert: „Falls The Stars and Stripes Forever jemals eine Nationalmelodie wird,“ so Sousa in seinen Memoiren, „dann, weil die Menschen es wollen und nicht auf Grund irgendeines Kongressdekrets.“ | T. Faßhauer
– John Philip Sousa, Marching Along, Boston 1928
– Perspectives on John Philip Sousa, hrsg. von Jon Newsom, Washington D. C. 1983
John Philip Sousa
1854–1932
The Free Lance March
»On to Victory«
Marsch
Dieses Stück war am 17. 2. 2007 im
► Konzert Nr. 11 zu hören.
Wiederaufnahme im
► Jubiläumskonzert 10 Jahre concentus alius am 15. 11. 2009
John Philip Sousa, der amerikanische Komponist und Dirigent portugiesisch-deutscher Abstammung, ist als „Marschkönig“ in Erinnerung geblieben (er hinterließ über 130 Märsche); seine nicht unbeträchtlichen Leistungen auf anderen musikalischen Gebieten sind dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten. Kaum bekannt ist heute z. B. die Tatsache, dass Sousa mit seinen von Offenbach und besonders von Gilbert und Sullivan beeinflussten Operetten zu den Pionieren des amerikanischen Musiktheaters gehört.
Sousas zweiaktige Comic Opera „The Free Lance“ wurde im März 1906 in Springfield, Massachusetts, uraufgeführt und lief kurz darauf am New Yorker Broadway (New Amsterdam Theatre). Das Libretto von Harry Bache Smith, der sich vor allem durch die Zusammenarbeit mit dem Operettenkomponisten Victor Herbert einen Namen machte, wirft einen bemerkenswert illusionslosen Blick auf Patriotismus und militärisches Heldentum:
Die benachbarten Reiche Graftiana und Bragadoccia sind bankrott, doch meinen ihre schlechtinformierten Herrscher, das jeweils andere Land schwelge in unermesslichem Reichtum. Um die Haushalte zu sanieren, wird beschlossen, Prinz Florian von Graftiana mit Prinzessin Yolanda von Bragadoccia zu verheiraten. Florian und Yolanda jedoch, die sich noch nie begegnet sind, verspüren wenig Neigung, sich aus Staatsräson verschachern zu lassen und brennen durch (ein bereits in Georg Büchners Lustspiel »Leonce und Lena« verarbeitetes Motiv). Um die Situation zu retten, verfallen beide Seiten auf denselben Trick: die Gänsemagd Griselda wird mit Versprechungen überredet, in die Rolle der Prinzessin zu schlüpfen; der Ziegenhirte Siegmund Lump wird geködert, den Part des Prinzen zu übernehmen. Nach der Hochzeit fliegt der Schwindel auf, die Potentaten verlieren ihr Gesicht und erklären sich den Krieg.
Siegmund Lump ist tatsächlich ein ehemaliger Räuberhauptmann, dem einst – wie dem biblischen Samson – seine übermenschliche Kraft durch das Scheren seines Kopfes genommen worden war. Nachdem er sie auf wundersame Weise wiedererlangt hat, gelingt es ihm, als Söldner (free lance) den Oberbefehl über die Armeen beider Länder zu erhalten. Er führt die feindlichen Heere so geschickt umeinander herum, dass keines das andere besiegen kann und ein Waffenstillstand geschlossen werden muss. In dieser Lage fordert Lump die Bezahlung für seine Dienste. Da man ihm diese schuldig bleiben muss, ruft er sich als Siegmund I. zum Herrscher über beide Länder aus. Yolanda und Florian, die sich inzwischen kennengelernt und ineinander verliebt haben, heiraten und alles endet glücklich.
Sousa pflegte die zündendsten Marschthemen seiner Operetten auszukoppeln und zu selbständigen Kompositionen zusammenzustellen, die er dann unter demselben Titel wie das jeweilige Bühnenwerk veröffentlichte. Auf diese Weise entstanden z. B. seine Märsche »El Capitan« (1896), »The Bride Elect« (1897) und eben auch »The Free Lance«. Dieses Stück kombiniert Siegmund Lumps Song „I Am a Salaried Warrior“ aus dem zweiten Akt mit dem martialischen Schlusschor des ersten Aktes „On to Victory“, dessen Melodie in typischer Sousa-Manier mit einem Kontrapunkt versehen und ins Triumphale gesteigert wird.
| T. F.
„The Song of the Free Lance“: The Lester S. Levy Collection of Sheet Music,
http://levysheetmusic.mse.jhu.edu/ – Dank an The Sousa Archives and Center for American Music, University of Illinois, für die Übermittlung des Textes „On to Victory“
The Song of the Free Lance
I am a salaried warrior
And I do not care for fame,
For I’m a regular bus’nessman
And the cash is all I claim,
Oh, glory may be all right enough,
But it pays no bills, you see,
So when a victory grand I win,
My terms are C. O. D.
I love the flag, the clash of steel,
The glory in the fight,
But first of all I must be sure,
The cash will be all right.
I’m bold, for gold, a hero.
Forever delighting in fighting
It is my trade.
A terrible fellow in battle
If I am paid.
Who e’er his enemy would worst
Should always settle with me first.
On to Victory
On to victory, for the enemy may well beware,
We certainly will win a battle glorious
And o’er the craven foe we’ll be victorious.
On to victory, for our valor makes them all despair,
To the roll of the drum, bold heroes come,
All ready to do and dare.
With a plan, rataplan, hear the drum, rataplan,
Telling the world the heroes come, rataplan,
What ever we may really think,
We’re not prepared to say,
Someone must do or die,
I don’t think it is I,
Still we can join the cry:
On to victory, etc.
Am 23. 03. 2006 um 15:44 Uhr schrieb Tobias Faßhauer an die Programmgruppe des »concentus alius«:
Ähem. Und was ist jetzt mit Sousa?
Wen es interessiert, dem erläutere ich gern nochmal die besonderen Qualitäten dieses Stücks, die über „Oktoberfest“ weit hinausgehen.
Als da z. B. wären:
– der ingeniöse Umgang mit einer damals schon abgelutschten Konvention dieser Art von Musik, nämlich der obligatorischen Ausweichung zur Dominante am Ende des ersten Teils. Sousa neutralisiert das Klischee, indem er — über chromatischem Bass — den Umweg über die III. Stufe nimmt. Köstlich! Ein Barbar, wer hier nicht in Entzücken ausbricht
– die raffinierte Instrumentation am Anfang des Trios mit vertauschten Rollen der Bläser und Streicher. Die Mischung von Blechbläsern und Celli-Pizzicati. Wundervoll!
– die Montage dreier verschiedener Themen im Finale. Als Kontrapunktiker schlägt Sousa sogar Offenbach, mit dem er sonst viel gemein hat (und unter dessen Dirigat er 1876 Geige spielen durfte).
Konzeptionell passt das Stück übrigens wunderbar zu Sullivan, da Sousa unmittelbar bevor er 1880 die Musik zur Show »Our Flirtations« komponierte, eine vielbeachtete Aufführung von »H.M.S. Pinafore« dirigiert hatte.
Im Übrigen denke ich an die Stunden, die mich das Schreiben der Direktions- und der Harfenstimme gekostet hat.
Und schließlich: Es ist ein Stück, in dem die Blechbläser [endlich mal] Melodien (!) spielen dürfen. So, das musste mal gesagt werden.