Dmitri Schostakowitsch


Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch

Дмитрий Дмитриевич Шостакович

wiss. Transliteration Dmitrij Dmitrievič Šostakovič

* 12. (jul.) / 25. (greg.) September 1906

in St. Petersburg

† 9. August 1975 in Moskau

Roger und Renate Rössing (1929–2005/2006)

Schostakowitsch im Publikum der Bachfeier

in der Leipziger Kongresshalle 28. Juli 1950

Deutsche Fotothek df_roe-neg_0002792_002



Festliche Ouvertüre op. 96


Dmitri Schostakowitsch

1906–1975

 

Festliche Ouvertüre op. 96

[1947(?)/1954]

 

 Programm Nr. 33

Freitag, 16. Juni 2017

Sonnabend, 17. Juni 2017


Eine der unzähligen

Auszeichnungen für Schostakowitsch:

Volkskünstler

der Russischen Sozialistischen 

Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) 1948,

1954 von der UdSSR erneuert


Dmitri Schostakowitschs »Festliche Ouvertüre« zählt sicherlich nicht zu seinen musikhistorisch bedeutenden Werken. Dennoch entfaltet er nach einer veritablen Eröffnungsfanfare innerhalb von lediglich sechs Minuten ein für seine ironische Musiksprache typisches rasantes Feuerwerk vertrackter Rhythmen und eingängiger Melodien. Aus den Klavierstücken op. 69, die Schostakowitsch 1944 für seine Tochter geschrieben hatte, entnimmt er das Thema, das er nach der Einleitung als erstes einführt. Schnell treibt er dann die Komposition in einen geschwinden Galopp, in dem er unter anderem Motive aus Glinkas Ouvertüre zu »Ruslan und Ludmilla« anklingen lässt.

 

Der Musikkritiker Lew Nikolajewitsch Lebedinsky spricht in seinem Bericht über die Entstehung dieses Gelegenheitswerkes davon, dass die »Festliche Ouvertüre« 1954 innerhalb weniger Tage zu Papier gebracht worden sei, weil für die Feier zum 37. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution von 1917 im Moskauer Bolschoi-Theater nicht rechtzeitig an den passenden musikalischen Auftakt gedacht worden war:

 

Schostakowitsch komponierte die Fest-Ouvertüre vor meinen Augen. Nebolsin [der Dirigent] steckte in der Klemme. Sehr wenig Zeit verblieb, Proben waren bereits einberufen, es waren noch keine Stimmen fertig, und was noch viel schlimmer war, es gab noch nicht einmal das Stück. In Verzweiflung besuchte Nebolsin Schostakowitsch in dessen Wohnung. Zufällig war ich auch anwesend. „Siehst du, Dmitri, wir sind in der Klemme. Wir haben nichts, womit wir das Konzert beginnen können.“ – „Geht klar“, erwiderte Schostakowitsch. (...) Er sagte: „Lew Nikolajewitsch, setz dich hier neben mich, und ich werde die Ouvertüre so schnell wie möglich schreiben.“ Dann begann er zu komponieren. Zwei Tage später fand die Hauptprobe statt. Ich eilte hinunter zum Theater und hörte dieses brillante, vor Temperament nur so sprudelnde Stück, mit seiner lebhaften Energie, überschäumend wie eine soeben geöffnete Champagnerflasche.

 

Am 6. November 1954 wurde die Ouvertüre von dem Dirigenten Alexander Melik-Paschajew im Bolschoi-Theater tatsächlich uraufgeführt, jedoch wird von Fachleuten vermutet, dass sie bereits sieben Jahre früher, also 1947, komponiert worden war. Schostakowitsch hätte sie demnach nur aus der Schublade geholt und mit einer höheren Opuszahl versehen. 

 

Schostakowitsch ist nur ein einziges Mal bei dem ihm gewidmeten Festival in Gorki 1964 als Dirigent aufgetreten; aus diesem Anlass kam es zu einer Wiederaufführung der Ouvertüre.  Zur Eröffnung der der Olympischen Spiele in Moskau im Sommer 1980, fünf Jahre nach Schostakowitschs Tod, wurde das Werk erneut benutzt; und auch das Nobel-Komitee versicherte sich seiner Wirkung in einem Konzert der Nobel-Preisverleihung 2009. concentus alius spielt das Werk 2017 nun wiederum zu einem Jahrestag der Oktoberrevolution, nämlich dem einhundertsten. | M. Z.

 

Quelle: Michael Tegethoff im Programmheft der Duisburger Philharmoniker für das

1. Philharmonische Konzert 9. und 10. September 2015



Tahiti Trot op. 16


Dmitri Schostakowitsch

1906–1975

 

»Tahiti-Trot« op. 16

Paraphrase über Vincent Youmans Song

»Tea for Two«

aus dem Musical »No, no, Nanette« [1923/25]

 für großes Orchester [1928]

 

► Programm Nr. 17

Quellen: Gennadij Roshdestwenski (Ariola 201 974-366) – www.sikorski.de – Daten zu Youmans: Wikipedia – DSQUARED2 jeans »tea for two«, Photo: Michael Zachow 2012 – Textfassung gesungen von Bruce Trent und Doree

Der berühmte Foxtrott-Song Tea for Two – auch bekannt unter dem Titel »Tahiti-Trot« – entstammt dem Musical No, No, Nanette, einem der populärsten Werke des amerikanischen Komponisten Vincent Youmans (1898–1946) aus dem Jahr 1923.

 

Über die Entstehung der Orchesterbearbeitung des Songs durch Dmitri Schostakowitsch erzählt der Dirigent Nikolai Andrejewitsch Malko, der erste Interpret der Ersten Sinfonie von Schostakowitsch, er hätte mit Schostakowitsch gewettet, dass der trotz seiner Genialität nicht im Stande sei, allein aus dem Gedächtnis von der Schallplatten-Aufnahme des Tahiti-Trots eine Instrumentation für großes Orchester zu schreiben. Schostakowitsch soll Malko die fertige Partitur nach angeblich nur 45 Minuten überreicht haben. Woran freilich gezweifelt werden darf, umfasst sie doch immerhin 13 Seiten mit  jeweils nicht weniger als 22 Notensystemen. Bald nach ihrer Entstehung wurde Schostakowitschs Tahiti-Trot-Version in der Sowjetunion zum Politikum, weil sie der Partei zu sehr nach westlicher Unterhaltungsmusik klang. Schostakowitsch musste sich von ihr distanzieren. Erst Ende der 1970er Jahre bekam der Dirigent Gennadi Roshdestwenky den Stimmensatz, den Malko besessen hatte, in die Hände und rekonstruierte daraus die Partitur. | M.Z.


Irving Caesar

»No, No, Nanette« 2. Akt

Duett Tom – Nanette

»Tea for Two«

 

TOM:

I'm discontented With homes that I've rented

So I have invented my own.

Darling, this place is

A lover's oasis

Where life's weary taste is unknown.

NANETTE:

Far from the cry of the city

Where flowers pretty Caress the stream

Cozy to hide in, To live side by side in, –

Don't let it apart in my dream.

TOM:

Picture you upon my knee

Just tea for two

And two for tea

Just me for you

And you for me – alone.

NANETTE:

Nobody near us

To see us or hear us

No friends or relations

On weekend vacations

We won't have it known, dear,

That we own a telephone – dear.

TOM:

Day will break and you'll awake

And start to bake a sugar cake

For me to take

For all the boys to see.

NANETTE:

We will raise a family,

A boy for you

And a girl for me;

BOTH:

Can't you see how happy we would be? ...

Prosa-Übertragung

»No, no, Nanette« 2. Akt

Duett Tom – Nanette

»Tee für Zwei«

 

TOM:

Ich bin nicht zufrieden mit den Häusern, die ich bisher gemietet habe,

deshalb habe ich mir mein eigenes erdacht.

Liebling, der Ort ist

eine Oase für Liebende,

wo man ermüdendes Leben nicht kennt.

NANETTE:

Weit weg vom Lärm der Stadt

wo schöne Blumen den Fluss liebkosen,

behaglich, drin sich zu verstecken, und um Seit’ an Seite darin zu leben – 

unterschlag das nicht in meinem Traum                                 

TOM:

Stell Dir vor: du auf meinem Schoß,

nur Tee für Zwei,

nur Zwei zum Tee,

nur ich für Dich,

und Du für mich – allein

NANETTE:

Niemand ist bei uns,

der uns sehen oder hören könnte,

keine Freunde oder Verwandten

auf Wochenendurlaub;

wir werden es niemandem verraten, Schatz,

dass wir ein Telephon besitzen – Schatz.

TOM:

Der Tag bricht an und Du wachst auf,

und fängst an einen Kuchen zu backen,

den ich mitnehmen

und mit meinen Jungs teilen kann.

NANETTE:

Wir werden eine Familie großziehen,

ein Junge für dich

und ein Mädchen für mich.

BEIDE:

Stell' dir vor, wie glücklich wir sein werden!

 



»Hamlet« Ballettsuite op. 32a


Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch

1906–1975

 

»Hamlet«

Ballett-Suite, op. 32a

daraus:

 

3. Fanfare und Tanzmusik

2. Trauermarsch

4. Die Jagd

7. Musikalische Pantomime

9. Ophelias Lied

11. Requiem

12. Turnier

10. Wiegenlied

13. Fortinbras’ Marsch

 

► Konzert Nr. 12 

Schostakowitschs Hamlet-Suite op. 32a – sie ist nicht zu verwechseln mit der Suite op. 116 aus der Musik zu Grigori Kosinzews Hamlet-Film (1964) – beruht auf der Schauspielmusik zu einer Inszenierung des Bühnenbildners und Regisseurs Nikolai Akimow (1901–1968), deren Premiere am 19. Mai 1932 im Moskauer Wachtangow-Theater stattfand. Shakespeares Drama wurde von Akimow radikal zur Farce umgedeutet: Hamlet begegnete hier als machthungriger Rüpel, dem zum Sturz des Königs, seines Onkels, jedes Mittel recht ist, so auch das, sich als Geist seines Vaters zu verkleiden. Ophelias Wahnsinn führte Akimow auf profane Alkoholisierung zurück; betrunken torkelt sie in den Fluss und ertrinkt.

Vereinzelte Stimmen begrüßten Akimows Hamlet als Befreiung der Vorlage vom historischen Ballast bürgerlicher Romantisierung, doch dominierte insgesamt die Ablehnung. Zu den entschiedensten Kritikern gehörte Akimows berühmter Kollege Wsewolod Meyerhold, der die Inszenierung als einen „Nicht-Shakespeare“ schmähte. „Bei dieser Aufführung gibt es zwar eine ganze Reihe guter Momente“, meinte Meyerhold, „im Ganzen aber lässt sie das Publikum kalt, weil man allerlei Unsinn zusammengereimt hat, anstatt vom Hamlet das zu erzählen, was man hätte sagen müssen.“ Wie man sieht, ist die Diskussion um echte oder vermeintliche Regietheater-Exzesse durchaus keine Spezialität der Gegenwart.

Dem Geist der Inszenierung entsprechend tendiert die Musik unüberhörbar zur Groteske. Wie oft bei Schostakowitsch resultiert diese Wirkung aber nicht allein aus der grellen Überzeichnung solcher musikalischen Typen wie Fanfare, Marsch und Galopp, sondern gerade auch aus der Kontrastierung dieser Genre-Karikaturen mit Episoden tiefster Tragik und liedhaft-lyrischer Schlichtheit. | T. F.

Anatoly Goryunov als Hamlet in der Inszenierung Nikolai Akimovs am Wachtangow-Theater, Moskau 1932 – Aufführungsphotos aus:
Konstantin RUDNITSKY, Russian and Soviet Theatre. Tradition and the Avant-Garde. London, 1988. Abb. S. 172f