Filmmusik


Jubiläumskonzert – 15 Jahre concentus alius 2014

 

Indem der concentus alius heute Abend einige der bekanntesten Melodien aus Film und Fernsehen gänzlich ohne visuelle Ablenkung zu Gehör bringt, wendet sich das Orchester einer ihm neuen Gattung zu: der

Filmmusik.

 

Nicht wenige Filme bleiben im Gedächtnis, weil sich ein Regisseur und ein Komponist zu einer besonderen künstlerischen Partnerschaft zusammengefunden haben. Als beispielhaft kann Alfred Hitchcocks Psycho (USA 1960) gelten. Ohne die im wahrsten Sinne des Wortes einschneidenden Streicherklänge aus der Feder von Bernard Herrmann würde der grausame Mord unter der Dusche nicht so unter die Haut gehen. 

 

Drei dieser Partnerschaften stellt das heutige Konzertprogramm vor. Die Namen des Regisseurs Steven Spielberg und des Komponisten John Williams sind untrennbar mit ausgesprochen erfolgreichen Hollywood-Produktionen verbunden. Stellvertretend für die über fünfundzwanzig gemeinsamen Filme erklingt heute Musik aus E. T. – Der Außerirdische (USA 1982). Steven Spielbergs filmische Erzählung über die Begegnung des Jungen Elliott mit dem kleinen Außerirdischen ist so märchenhaft und gefühlvoll angelegt, dass zeitgenössische Filmkritiken auf die Nähe zu Disney-Filmen hinwiesen. John Williams äußerte sogar die Befürchtung, dass seine Musik vielleicht doch etwas zu dick auftrage – als wolle man dem Publikum vorschreiben, wann es seine Tränen zu vergießen habe: »Es ist so schamlos, vielleicht sollten wir die Musik abschwächen, wenigstens ein bisschen?« Doch Steven Spielberg darauf: »John, Filme sind schamlos.«

Mögen Filme auch schamlos sein: Wenn am Ende von E. T. – Der Außerirdische die Fahrräder von Elliott und seinen Freunden von der Straße abheben, die Erdanziehungskraft überwinden und am Mond vorbeifliegen, dann schenken wir diesen Bildern Glauben und vergessen Raum und Zeit. Ermöglicht wird unser kindliches Träumen nicht zuletzt durch John Williams’ Musik. Sie fängt diese fantastische und beinahe ins Lyrische überhöhte Szene ein, indem sie sich in immer größer werdenden Melodiebögen vom Grundton löst und für einen kurzen Moment zwischen Himmel und Erde verharrt. 

 

Eine Generation früher gaben der Regisseur Blake Edwards und der Komponist Henry Mancini den Ton an in der Traumfabrik Hollywood. In einer Zeit, in der hochnäsige Europäer sich darin gefielen, Hollywood als große Verblödungsfabrik zu beschimpfen, trumpfte Blake Edwards auf mit Humor, Intelligenz und Eleganz – und widerlegte die Vertreter der schlecht gelaunten Kulturkritik auf souveräne Weise.  »Ich habe mein ganzes Leben damit zugebracht, unserer traurigen Existenz eine lustige Seite abzugewinnen«, sagte er einmal, »und irgendwann habe ich es geschafft, mir Szenen auszudenken, die mir und den Zuschauern halfen, den Schmerz wegzulachen.«  Mitte der 1950er-Jahre lernte er den Komponisten Henry Mancini kennen, der sein bester Freund wurde und ein scheinbar unerschöpflicher musikalischer Inspirator. 

 

Frühstück bei Tiffany (USA 1960) heißt jener Streifen, der seine Berühmtheit nicht zuletzt Audrey Hepburn in der Rolle der Holly Golightly und der Filmmusik von Henry Mancini verdankt. Der Film erzählt nach Truman Capotes gleichnamigem Roman von der Begegnung eines charmanten, aber bankrotten Schriftstellers mit einem kapriziösen Partygirl, das aus der amerikanischen Provinz ins mondäne (und selten so schön gefilmte) New York geflohen ist, um sich einen Millionär zu angeln – oder auch mehrere. Doch hinter dem Vergnügungsdrang und dem Stolz der Kindfrau verbergen sich die Wunden eines kleinen Mädchens, das zu früh zum männlichen Wunschobjekt geworden ist. Die Figur des mittellosen Autors, der sich von einer vermögenden älteren Dame aushalten lässt – und von einem körperlich wie moralisch schlaffen George Peppard gespielt wird – stellt mit ihrer Passivität, ihrer finanziellen Abhängigkeit und ihrer Schreibblockade das Männlichkeitsklischee des für Hollywood typischen Verführers infrage.

 

 

Aus Frühstück bei Tiffany stammt der Song »Moon River«, für den Henry Mancini und der Textdichter Johnny Mercer einen Oscar gewannen. Diesen Song über den »dream maker«, den »heart breaker«, den »huckleberry friend« hatten die beiden Audrey Hepburn auf den Leib geschrieben, die eigentlich keine Sängerin war und trotzdem mit dieser einfachen Melodie berühren konnte. »Moon River« ging alsbald um die Welt und zählt noch heute zu den wohl populärsten Evergreens im American Songbook des 20. Jahrhunderts.

 

Nur drei Töne, gespielt auf einer Mundharmonika, sind erforderlich, um an eine Produktion der Klassenkameraden Sergio Leone und Ennio Morricone zu erinnern: Spiel mir das Lied vom Tod (Italien 1968). Für die einen ist dieser Film der Western aller Western, für die anderen eine Oper, die nur so tut, als sei sie ein Western. Dass Spiel mir das Lied vom Tod in die Nähe der Oper gerückt wird, mag daran liegen, dass jede der Figuren eine eigene »Auftrittsmelodie« hat. Claudia Cardinale in der Rolle der Jill McBain wird von einer weiblichen Gesangsstimme begleitet, der gefährliche Frank alias Henry Fonda von den Klängen einer E-Gitarre, und Charles Bronson spielt selbst ein Instrument: die Mundharmonika.

 

Spiel mir das Lied vom Tod steht für den Bruch mit den sogenannten »Spaghetti-Western« bzw. »Italo-Western«, die Sergio Leone bis dahin gedreht hatte. Schon der englische Filmtitel Once Upon a Time in the West verdeutlicht das Anliegen, dass dieser Film mehr sein solle als nur ein weiteres Abenteuer mit Mord und Totschlag. Und doch beginnt alles genau so: Der Eisenbahn-Unternehmer Morton will seine Schienen bis zum Pazifik bauen und benötigt dafür das Land des Farmers McBain. Doch dieser hat nicht die Absicht, das Land zu verkaufen. Vielmehr möchte er es behalten, einen Bahnhof errichten und selbst reich werden. Frank, ein Profi-Killer in Diensten Mortons, ermordet den verwitweten McBain und seine Kinder. Ihm entgeht jedoch die künftige Ehefrau Jill, die mit Hilfe eines geheimnisvollen Fremden das Werk ihres Mannes zu vollenden beginnt. Aber dieser Fremde, den alle nur »Mundharmonika« nennen, handelt nicht aus Nächstenliebe – auch er hat noch eine Rechnung mit Frank zu begleichen… Der skrupellose Kapitalist, der ehrbare Farmer, der Outlaw, der Herumtreiber und das gefallene Mädchen, das in diesem Niemandsland über sich hinaus wächst: Jede Figur in diesem Epos ist ein Archetyp in der Mythologie des amerikanischen Westens. 

 

Auch in der filmmusikalischen Gestaltung unterscheidet Spiel mir das Lied vom Tod sich von früheren Western. Setzten deren Komponisten noch auf einen groß besetzten Orchesterapparat, beschränkte sich Ennio Morricone auf das Notwendige – und ergänzte den Klang um ungewöhnliche Soundelemente wie Maultrommeln, unheimliches Pfeifen, Kojotengeheul, Glocken, Spieluhren, Peitschenknallen und Ambossschläge. 

 

Ein vielfältiges und abwechslungsreiches Angebot an musikalischen Ausdrucksformen ist auch bei den bislang fünfundzwanzig Filmen rund um den britischen Geheimagenten James Bond zu hören. Von Synthesizerklängen bis zum großen Sinfonieorchester sind alle Stile vertreten. Die »Themes from 007 – A Medley for Orchestra« vereinen vier der bekanntesten James-Bond-Melodien: das James-Bond-Thema aus der Feder von Monty Norman, das seit 007 jagt Dr. No (Großbritannien 1962; Regie: Terence Young) in jedem Bond-Film zu hören ist; »For Your Eyes Only« aus In tödlicher Mission (Großbritannien 1987; Regie: John Glen); »Live and Let Die« aus Leben und sterben lassen (Großbritannien 1973; Regie: Guy Hamilton) sowie der Titelsong zu Goldfinger (Großbritannien 1964; Regie: Guy Hamilton). 

 

Filmmusiken, die sofort ins Ohr gehen und zum Mitsingen einladen, sind auch in Deutschland entstanden, wie beispielsweise in Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion – kurz: Raumpatrouille Orion (Deutschland 1966; Regie: Theo Mezger). Als deutsche Antwort auf Raumschiff Enterprise wurden 1966 im Zwei-Wochen-Rhythmus (nur) sieben Folgen von Raumpatrouille Orion in der ARD ausgestrahlt, die eine Einschaltquote von bis zu 56 % erreichten und seitdem mehr als zwanzig Mal wiederholt wurden. Die seinerzeit für eine Fernsehproduktion neuartigen Trickeffekte besitzen heute einen ganz eigenen Charme, und auch in der Ausstattung beschritt man bis dahin ungewohnte Wege. So wurden beispielsweise Bügeleisen und Bleistiftanspitzer als Armaturen und Plastikbecher als Deckenleuchten verwendet. Auf den Kopf stehende Uhrpendel stellten die Fahrhebel in der Kommandozentrale dar, und auch Garnrollen und Wasserhähne fanden als Dekorationselemente Verwendung.

 

Einzigartig ist auch die Musik von Peter Thomas: Mit Pauken und Trompeten setzt sich die Raumpatrouille in Bewegung und veranlasst das um E-Bass und Schlagzeug vergrößerte Orchester zu einigen ungewöhnlichen Klangereignissen. Im Mittelteil der Konzertsuite müssen die Musiker sogar singen und klatschen! 

 

Dass sich Peter Thomas, der seine Kindheit und Jugend in Berlin verbrachte und am Mohr’schen Konservatorium ausgebildet wurde, in der Musikgeschichte gut auskennt, wird an den Zitaten deutlich: So begegnen uns zuerst die Eröffnungsfanfare aus »Also sprach Zarathustra« von Richard Strauss und unmittelbar danach ein schneller Rhythmus im 5/4-Takt, wie ihn auch Gustav Holst im »Mars« in Die Planeten verwendete. 

 

| Ulrich Wünschel  –  7. 7. 2014 Programm 27