Oskar Gustav Rejlander 1813–1875
Heimweh. Photographie 1855
Adelung Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 1793
musica ex patria – Daheim ist überall?
»Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat,
sondern wo man verstanden wird.«
Christian Morgenstern
Worin besteht und bestand – schon immer? – die Verlockung für Musiker, ihre Heimat zu verlassen? Um ihr Glück in der Fremde zu suchen, wie Morgenstern es nahe legt? Oder, weil sie sich, wie die Minnesänger, als Botschafter sahen, als überall willkommene Nachrichten-Überbringer? In Nordfrankreich galten »les trouvères« (Sammler / Entdecker, von trouver, finden) darüber hinaus als »Chronisten der Geschichte und Kultur«.
Oder waren Musiker – etwa vierhundert Jahre später – zugunsten ihrer Reputation, ihrer Karriere, immer auf der Jagd nach neugierigem, begeistertem Publikum? Im 19. und im 20. Jahrhundert dürfte auch die Suche nach neuen Klängen und unbekannten musikalischen Ideen ein wichtiges Motiv gewesen sein. Haben dagegen andere Komponisten – mehr dem Motto »Trautes Heim, Glück allein« folgend? – ihr Fernweh möglicherweise über die Vertonung entsprechender Opernlibretti oder Gedichte ausgelebt?
Während die Welt kleiner und kleiner wird, scheint sich das Verständnis von »zuhause«, von »daheim« – jedenfalls im Morgensternschen Sinne – mehr und mehr auszuweiten.
Joseph Haydn, dreißig Jahre im Dienste des Hauses Esterhazy, folgte mit 58 Jahren dem drängenden Ruf nach London, wo er und seine Musik begeistert gefeiert wurden. Seine Londoner Symphonien gelten als Höhepunkt der Entwicklung von der Ouverture zur klassischen Symphonie.
Felix Mendelssohn ließ sich auf seinen Reisen zu vielen seiner Tondichtungen inspirieren, wie z. B. zur Hebriden-Ouvertüre, zur Schottischen oder Italienischen Symphonie.
Igor Strawinsky verließ seine Heimat als junger Mann und kehrte nur noch selten nach Russland zurück. Seine bekanntesten Kompositionen (Der Feuervogel, Petruschka und Le sacre du printemps) führten praktisch zu einer Renaissance des Ballets.
Aaron Copland ging, wie viele seiner Generation, zum Studium ins Ausland, sicherlich auch, um eine eigene Tonsprache zu finden. Was in seinem Fall hieß: Klassische Musik auf amerikanische Art zu komponieren.
Bela Bartók unternahm weitläufige musikethnologische Reisen durch Ungarn, Rumänien, die Slowakei, Siebenbürgen und den Vorderen Orient, sammelte dabei über 10.000 Lieder, und verband in seinen Kompositionen auf zuvor nicht gekannte Weise Volks- und Konzertmusik.
Wenn Musik noch als ‚Universalsprache‘ angesehen werden darf und wenn Morgenstern Recht hat, dann dürfen wir wohl annehmen, dass ein ‚ex-patria-Komponist‘ sich doch gar nicht so weit von »daheim« entfernt befindet, wie man zunächst denken könnte... | E. W. S. / M. K.
musica ex patria
E. Scott Wilkinson
dirigiert das vierzehnte Konzert
Sonntag, 8. Juni 2008
Emmaus-Kirche, Berlin-Kreuzberg
P r o g r a m m f o l g e
1732–1809
Sinfonie Nr. 99 Es-Dur
[1793]
I. Adagio – Vivace assai
II. Adagio
III. Menuetto: Allegretto
IV. Vivace
1882–1971
Pulcinella-Suite
[revidierte Fassung 1949]
daraus:
1. Sinfonia (Ouvertüre)
5. Toccata
6. Gavotte
7. Vivo
Pause
1809–1847
Ouvertüre zum Liederspiel von Karl Klingemann
»Heimkehr aus der Fremde«, op. 89
[1829]
Andante – Allegro di molto – Andante
1900–1990
»Letter from Home«
[1944, revidierte Fassung 1962]
1881–1945
»Magyar Képek«
»Ungarische Skizzen« – Fünf Bilder aus Ungarn,
Sz 97,
[1931]
1. Abend auf dem Lande
2. Bärentanz
3. Melodie
4. Etwas angeheitert
5. Üröger Hirtentanz / Tanz der Schweinehirten
1962–2011
nach einer Melodie von
1911–1972
»Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin«
[1951, arrangiert für concentus alius 2008]